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Vier Tipps für deine Karriere als neuer Künstler
Text: Maddy Salvage
Die Musikindustrie war in gewisser Weise schon immer ein turbulenter Lebensraum, und das Jahr 2020 bildet in dieser Hinsicht definitiv keine Ausnahme. Diktiert von Streaming-Algorithmen, mit größerer Konkurrenz denn je sowie der derzeitigen Auslieferung an eine weltweite Pandemie. Aufstrebenden Künstlern mag das wie ein entmutigender Ort erscheinen, den sie da betreten sollen.
Gleichwohl hat er auch eine Historie echter Widerstandsfähigkeit. Vergessen wir nicht, dass es gerade erst zwei Jahrzehnte her ist, dass die digitale Technologie das Geschäft mit Schallplatten völlig umkrempelte und es bis 2015 dauerte, bis dieses sich schließlich erholte. Und wie zuvor schlägt die Musikindustrie auch 2020 erneut zurück: Die Entwicklung neuer Techniken und Plattformen für Künstler, um in diesen chaotischen Zeiten zu überleben. In diesem Beitrag werde ich mein Bestes tun, Licht auf diese Werkzeuge der Navigation zu werfen, und dir einige grundlegende A&R-Tipps für das mögliche Wachstum deiner Karriere als neuer Act in einem derart apokalyptischen Jahr zu geben.
Eine wichtige Erinnerung, bevor wir loslegen: Jede Reise ist einzigartig, subjektiv und hochgradig komplex. Als A&R-Manager und Label-Mitbegründer wäre es nicht nur ignorant, sondern auch narzisstisch, wenn ich versuchen würde, eine Formel für einen universellen Erfolg zu entwerfen. Wir sind da, um Künstler anzuleiten und ihre Vision zu verstärken, der Rest liegt bei dir. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf, lass uns loslegen:
1. Es dreht sich alles um Musik
Jeden Tag werden etwa 40.000 Songs auf Spotify hochgeladen – das sind 14,6 Millionen Titel pro Jahr. Erschwingliche Geräte für das Heimstudio (wie etwa das Focusrite Scarlett) haben die Musikproduktion für jedermann zugänglich und erschwinglich gemacht. Allerdings geht mit dieser Feier der Massenkreativität auch ein deutlich größerer Wettbewerb einher.
Der durchschnittliche Musikfan, der in seiner Mittagspause Streaming-Dienste durchstöbert, ist inzwischen von der Auswahl überwältigt. Im Jahr 2019 betrug der Anteil der Titel, die in Spotify noch niemals angehört wurden, beachtliche 20 %. Das wirft die Frage auf: "Was sagst du wirklich mit deiner Musik und Kunst aus, was andere nicht sagen?" Was tust du, um dich von den 39.999 anderen Songs abzuheben?

Die Hingabe des Duos Minimal Violence zu ihrem unverkennbaren Sound ist in allem offensichtlich, was sie tun. Foto: George Nebieridze.
Einige der inspirierendsten Künstler, mit denen ich in meiner Rolle als A&R-Manager in letzter Zeit gearbeitet habe, sind diejenigen, die kompromisslos sie selbst sind. Es wäre schwer, den Brooklyn-Produzenten Umfang mit einem anderen Künstler zu verwechseln. Das kanadische Duo Minimal Violence hat ein tiefes Bekenntnis zu seinem dunklen, unerschütterlichen Sound. Und jeden einzelnen Track der in Los Angeles lebenden Maral, erkennt man innerhalb der ersten zehn Sekunden. Die Musik dieser Künstler unterstützt meinen ersten Tipp: Stelle sicher, dass deine Kunst etwas aussagt. Erschaffe deine ganz eigene Signatur.
Ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist: Wenn du nicht weiterkommst, kann es eine gute Möglichkeit sein, mit deiner Produktion zu experimentieren, indem du dir selbst bei der Komposition Grenzen setzt. Du könntest dir etwa Schablonen oder abgespeckte Soundpaletten erstellen, die dir dabei helfen, einen Sound zu straffen oder eine Identität in deinen Arbeitsabläufen zu finden. Mit dem Aufstieg der Software-Technik geht einher, dass uns heute jeder Synthesizer, Loop und klassische Instrument zur Verfügung steht. Da kann es durchaus helfen, sich Grenzen zu setzen. Und wir sollten uns daran erinnern, dass Grimes sein komplettes Werk Visions nur mit GarageBand komponiert hat.
"Sorge dafür, dass deine Kunst eine Aussage hat."
Am wichtigsten jedoch ist, dass deine Songs auch dann bestehen können, wenn sie deutlich ausgedünnt werden. Entferne die Sidechain, den Riser oder die perfekt gesampelte Bassdrum – können sich die Leute immer noch mit deinem Song verbinden? Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Hit, egal welchem Genre er entstammt, funktioniert, weil er die Menschen auf einer tieferen Ebene anspricht. Sei es durch einen nachvollziehbaren Text oder eine ansteckende Melodie, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt.
2. Überdenke es nicht ständig
Ein häufiger Stolperstein für jeden neuen Künstler auf dem Weg zum Erfolg ist nicht, wie wenig er über Ableton weiß oder wie wenige Plug-ins er nutzt, sondern seine Unfähigkeit, einen Song fertigzustellen und diesen mit der Welt zu teilen. Unsere Branche bewegt sich schnell. Und obwohl einige Meisterwerke Jahre, sogar Jahrzehnte, bis zur Perfektion brauchen, besteht die Chance, dass die Branche dich zurücklassen könnte. Ich habe gesehen, wie talentierte Künstler ihre Karriere auf diese Weise stark beschädigt haben. Salvador Dali beschreibt dies sehr prägnant: "Habe keine Angst vor der Perfektion, denn du wirst sie niemals erreichen."

Die Produzentin Maral stützt sich sehr auf ihre Community und das "Musik-Ökosystem". Sie nimmt sich Zeit, sich und ihre Musikerkollegen zu pflegen.
Maral, die vor kurzem auf meinem Label SOS Music veröffentlicht wurde, wird von Pitchfork und FACT und anderen für ihre unglaublich originellen Mashed-Out-Versionen von Jersey Club, Reggaeton und Dub gelobt. Vor kurzem sprach sie mit mir darüber, wie wichtig es ist, einfach loszulegen: "Man sollte sich nicht damit belasten, dass man technisch oder musikalisch versiert sein muss, um Musik zu machen", sagt sie. "Es geht vielmehr darum, einen eigenen Weg zu finden, diese Programme oder Instrumente zu nutzen und dadurch einen eigenen, einzigartigen Sound zu finden."
"Mache Musik, die ehrlich von dir kommt, finden deinen Weg und habe keine Angst vor Unvollkommenheit."
Natürlich gibt es keine Regeln. Ein Auge für Details und Perfektionismus kann für einige funktionieren, aber es besteht kein Zweifel daran, dass ein Mangel an Selbstvertrauen der größte Zerstörer von Kreativität in dieser Branche ist. Unsere Branche ist von Hochstaplern durchsetzt. Wenn du es übertreffen kannst, hast du vermutlich eine deutlich höhere Erfolgsquote. Als ich Mitte der 90er Jahre im englischen Brighton aufwuchs, wurde ich häufig von örtlichen DJs und mürrischen Managern von Plattenläden verspottet. Ich hätte nicht genug "Persönlichkeit", um als DJ aufzutreten, oder es würde mir an raffiniertem Geschmack fehlen, um im Bereich Artists und Repertoire zu arbeiten. Ich habe Jahre verloren, in denen ich in Unsicherheiten über meine Karriere und Fähigkeiten gefangen war. Lerne aus meinen Fehlern: Mache Musik, mit der du dir treu bleibst. Finde deinen Weg und habe keine Angst vor Unvollkommenheit.
3. Lerne deine Fans kennen – und sprich mit ihnen!
Es gibt eine ungeschriebene Regel, dass andere einem nicht die eigene Kunst diktieren sollten. Gleichwohl ist es kaum schlecht, ein Gefühl dafür zu haben, wem die eigene Musik denn gefallen wird. Es spielt keine Rolle, ob du Futurepop, Folk, Techno oder Ambient machst. Stelle sicher, dass du eine Ahnung davon hast, wenn du wirklich ansprichst. Soziale Medien und Streaming-Plattformen verfügen über nützliche Informationen, die detaillierte Einblicke in diese Daten liefern, wobei Standort- und demografische Informationen jederzeit zur Verfügung stehen.
Sobald du ein Gefühl dafür hast, wer deine Fans sind, beginne, mit ihnen in Kontakt zu treten. Ich kann das nicht genug betonen: Du kannst nicht erwarten, dass eine Gruppe von Fans wie eine schöne Sonnenblume wächst, wenn du sie nicht gießt. Wir leben in einem kulturellen Klima, in dem soziale Medien oftmals die Beziehung eines Künstlers zu seinen Fans diktieren. Und diese Beziehungen waren noch nie so intim und, offen gesagt, so durstig nach Inhalten.
Soziale Medien sind nicht jedermanns Sache (wir haben wohl alle die Dokumentation The Social Dilemma gesehen). Nicht jeder aufstrebende Künstler gehört auf TikTok oder Instagram TV, was auch völlig in Ordnung ist. Aber die Interaktion mit den Fans ist seit COVID vorübergehend schwieriger geworden. Wir haben eine Milliarden Dollar schwere Live-Industrie verloren, die über 50 % aller Gesamteinnahmen der Musikbranche ausmacht und wohl eine der besten Methoden darstellt, um mit Fans auf einer persönlichen Ebene in Kontakt zu treten.
Wenn du also keine Live-Shows spielen kannst und Instagram nicht dein Ding ist, was bleibt dann noch übrig? Es ist ermutigend zu sehen, dass Plattformen wie Patreon, Twitch und Mixcloud Live-Künstlern dabei helfen, ihre Musik zu präsentieren. Zahlreiche Künstler haben über die Vorteile der Patreon-Gemeinschaft gesprochen, bei denen Fans gestaffelte, monatliche Gebühren für direkte Fan-to-Künstler-Inhalte, Aufführungen und mehr zahlen.
Die britische Dance-/Popkünstlerin Little Boots hat kürzlich ein einladendes Zuhause bei diesem Service gefunden. "Bis zu diesem Jahr verließ ich mich für den Großteil meines Einkommens stets auf Einnahmen von Live- und DJ-Gigs", sagte sie mir, "doch die Pandemie hat alles verändert. Patreon hat mich dazu gebracht, mein Geschäftsmodell und meine Verbindung zu meinen Fans komplett neu zu überdenken. Ich habe nunmehr eine Plattform, mit der ich ein beständiges Einkommen erziele, ohne auf Tour gehen zu müssen. Gleichzeitig habe eine ganz neue Gemeinschaft mit äußerst engagierten Fans aufgebaut, denen ich etwas zurückgeben kann."
4. Eine Gemeinschaft aufbauen und dieser etwas zurückgeben
Dein Handwerk zu verfeinern, deine Marke aufzubauen und unermüdlich für sich selbst zu werben, ist großartig, aber es ist nicht alles. Eine positive Ergänzung ist die Teilnahme an den musikalischen Gemeinschaften, die dich inspirieren und diese auf jede erdenkliche Art zu unterstützen.
Für A&R-Manager können aufstrebende Künstler, die über beeindruckende Netzwerke verfügen, ein starker Hinweis für ihr Engagement für ihre Karriere sein. Beginne Beziehungen aufzubauen, wo es dir möglich ist. Sicherlich ist es nicht die beste Taktik, jeden beliebigen Plattenmanager, den du auf LinkedIn findest, zu stalken. Wenn es aber gleichgesinnte Künstler, Club-Promoter oder lokale Radio-DJs gibt, die du bewunderst, scheue dich nicht, auf diese zuzugehen und Freundschaften zu schließen. Oftmals kann der Austausch mit Gleichgesinnten deine Arbeit verbessern sowie eine Welt voller Möglichkeiten eröffnen.
Diese Interessengemeinschaften können sich um alle möglichen Dinge drehen, von unabhängigen Radiosendern wie NTS oder dublab bis hin zu Reddit-Threads für Focusrite-Anwender, Live-Veranstaltungen oder Plattenläden. Alejandro Cohen, Gründer des angesagten unabhängigen Radiosenders dublab in Los Angeles, hat 21 Jahre damit verbracht, einen sicheren Raum für Künstler zu schaffen: "Das Teilen von Ressourcen, Kontakten und Möglichkeiten ist der beste Weg, um zu beweisen, dass man hinter seiner Mission steht", sagt er.
Für Maral, die sowohl bei NTS als auch bei dublab auftritt, ist es ein wesentlicher Teil ihres Arbeitsethos, etwas zurückzugeben: "Ich denke viel über das Musik-Ökosystem nach und darüber, wie wir einen positiven Einfluss darauf nehmen können. Ein großer Teil davon ist die Interaktion mit deiner Gemeinschaft. Es geht nicht nur um das Nehmen, sondern auch um ein Geben. Meiner Meinung nach ist der beste Weg, als Künstler zu wachsen, wenn man nicht nur sich sondern auch andere pflegt.""
Alle Gemeinschaften müssen irgendwo beginnen. Wenn du dich keiner bestimmten Gemeinschaft zugehörig fühlst, warum nicht eine gründen? Hast du eine Idee für eine Radiosendung? Dann zeichne sie auf und lade sie hoch! Kannst du für deine Musik kein Zuhause finden? Veröffentliche diese selbst! Die Chancen stehen gut, dass du auf diesem Wege Freunde findest und eine blühende Gemeinschaft für dich und andere aufbaust.

Bildnachweis: Nathan Seabrooke.